Manchmal – Mai 2021

Eine Geschichte zu einem vorgegebenen Thema: „Schreibe eine Geschichte, in der eine Frau ihren Ehemann mit dem Toaster erdrosselt.“ Ich habe die vorgegebene Aufgabe um eine Komponente erweitert. Hintergrund war der Satz: „Jede Tat hat Konsequenzen.“

„Jonathan, Zeit ins Bett zu gehen.“

„Ach Mama, der Film ist noch nicht zu Ende.“

„Es ist schon 22:00 Uhr. Du bist erst acht Jahre alt. Du solltest längst im Bett sein. Wie lange geht der Film denn?“

„Noch 15 Minuten. Steht in der Zeitung.“

„Also gut mein Schatz, aber danach sofort in Bett, ok? Was schaust du dir eigentlich an?“

„Ja, Mama. Bud Spencer.“

*****

Ich mag die Ruhe hier. Es ist friedlich. Ein paar Vögel zwitschern, die Sonne schickt wärmende Strahlen und es ist so still. Fast, als gäbe es keine Menschen. Vielleicht komme ich deswegen so gerne hierher. Ich beobachte die Käfer, die über die Erde laufen. Sie sehen fast aus wie Wanzen. Manchmal laufen zwei von ihnen hintereinander. Sie haben ihre Hinterteile einander zu gereckt. Der eine läuft vorwärts, der andere rückwärts. Sieht witzig aus. Ein Rotkehlchen, ich kann den Gesang hören. Wo bist du? Dort oben auf dem Baum. Wie schön du klingst. Dein Gesang erinnert mich an unseren Garten. An Zuhause.

*****

„Ist der Film aus, Schatz?“

„Ja, Mama. Ich gehe ja schon.“

„Gute Nacht mein Schatz.“

„Nacht Mama.“

„Erika, komm sofort in die Küche. Warum ist kein Bier mehr da?“

„Mama?“

„Geh schon, los!“

„Ich komme Paul, ich habe neues Bier besorgt. Schau mal unten im Schrank.“

„Du dumme Kuh, da ist nichts. Oder siehst du hier was?“

„Aber ich habe doch…“

„Du bist für nichts zu gebrauchen. Aber warte, mit dem Nudelholz kann ich doch was anfangen.“

„PAUL NEIN…“

*****

Manchmal, wenn ich hier bin, denke ich zurück an den Tag. Denke daran, was ich hätte tun können. Was ich hätte anders machen können. Und manchmal würde ich am liebsten zu dir unter die Decke kriechen. Damit es aufhört. Damit der Schmerz endlich aufhört. Und wieder, wie immer, wenn ich an dich denke, verschwimmt dein Bild vor mir. Ich habe nur meinen Ärmel, aber der reicht. Er hat bisher gereicht. Er reicht auch jetzt. Es wird niemals aufhören, oder? Du wirst mich niemals loslassen.

*****

„Mama, was machst du da? Was ist mit Papa?“

„Schatz, geh sofort auf dein Zimmer.“

„Was machst du da, was ist mit dem Toaster?“

„SOFORT!“

„Mama, ich habe Angst. Mama bitte, was…“

„DU SOLLST GEHEN, HAB ICH GESAGT!“

*****

Die Blätter auf der Erde habe ich schon aufgesammelt. So sieht alles viel sauberer und gepflegter aus. Eine Kerze habe ich auch dabei. Es ist nur ein kleines Zeichen, aber es ist ein Zeichen. Ich denke an dich. Ganz oft. Und ich weiß, sie tut es auch. Ich weiß es. Du darfst ihr keine Vorwürfe machen, die macht sie sich schon zur Genüge. Wieder verschwimmt dein Bild vor mir. Einen trockenen Ärmel habe ich noch. Hört es irgendwann auf?

*****

„Mama?“

„Leonie Schatz, gehe in dein Zimmer. GEH SOFORT IN DEIN ZIMMER! Jonathan, nimm Leonie, geh mit deiner Schwester ins Zimmer.“

Hör endlich auf, dich zu wehren, Paul. Nein, nicht das Bügeleisen, NICHT!

„Leonie, geh weg da! Schatz? LEONIE!“

*****

Was hätte ich anders machen können? Manchmal, an Tagen wie heute, reichen zwei Ärmel nicht für dich, Schwesterherz.

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Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Marion Schreiner

    Einfach wieder sehr mitreißend geschrieben. Gut finde ich, dass viel Raum zum Mitdenken bleibt, was die Szene noch mehr eskalieren lässt. Nichts ist so spannend, wie die Fanatsie.

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