Dezember 2020. Eine Geschichte zu Ehren Fiddler’s Green. Sie feierten 2020 30-Jähriges Jubiläum.
In Irlands Luft riecht man die See, schmeckt Blüten, Gras wie lieblich Tee,
der Duft von Stout wird immer sein, ein Teil von Irlands Herz.
„O‘Donahue, komm zu uns mein Freund.“
Paddy winkt mich zu sich mit einer ausholenden Geste. Er sitzt zusammen mit Finn an einem der alten Tische. Sie lachen, machen Faxen und nippen zwischendurch an ihrem schwarzen Stout. Die warme Atmosphäre in diesem Pub lässt meine Mundwinkel gemächlich Richtung Ohren wandern. Hinten in der Ecke spielt eine Band irische Lieder. An den Tischen sehe ich Freunde, Nachbarn, ehemalige Kollegen. Rauch bewegt sich andächtig durch die Luft, es riecht nach Tabak, Stout und brüderlicher Heiterkeit.
Noch einen Moment länger möchte ich hier stehen, um die vertraute Wärme zu genießen, die sich in mir ausbreitet. Tische, Stühle, Wandvertäfelung, altes Holz verströmt Geborgenheit wie ein Zuhause. Über mir durchziehen kräftige Deckenbalken den Raum, zeigen ganz offen die verdienten Risse der Zeit. Schwarz lackierte Leuchter verwöhnen die Menge mit warmem Licht aus Glühbirnen. An den Wänden erinnern alte Blechschilder stumm an vergangene Zeiten, zeugen gerahmte Fotos von vergänglichen Momenten und verweisen Plakate auf Bands, die hier einst spielten. Auf einem anderen Plakat kann ich Fiddler‘s Green lesen, mit Datum von heute. Ich spüre Unruhe in mir, mein Körper bewegt sich leicht zu den schnellen Rhythmen, er will tanzen. Geige, Akkordeon, Schlagzeug, was ist das?
„Paddy, was spielen die da? Die Melodie kommt mir bekannt vor, aber die Geschwindigkeit des Taktes ist … ungewohnt.“ Neugierig setze ich mich zu meinen Freunden und gebe Enya ein Zeichen. Einen Finger hoch in die Luft. Sie lächelt, weiß, was ich will. Ein Stout, was sonst? Dieses starke und süße Bier, das man so nur in Irland bekommt, meiner Liebe. Meiner Heimat.
„Die Jungs sind aus Deutschland, spielen traditionelle irische Lieder, nur etwas schneller“, zwinkert Paddy mir zu. Dann ergänzt er „Sie nennen es Irish Speedfolk. Ich finde, es hat was.“
Ein Businessmann aus Waterford segelt gelangweilt Richtung Nord,
jemand wirft ihn über Bord, er bibbert in der Kält‘.
Doch es ging ihm gut, er fasste Mut, fand seinen Weg, schwamm bis zum Steg.
Interessiert betrachte ich die Jungs in der Ecke. Sie wirken jung und voller Energie. Der Sänger trägt eine Brille, gibt sich reichlich Mühe. Seine Stimme klingt angenehm mit geringem Akzent. Der Geiger trägt eine Baskenmütze, darunter quellen lange blonde Haare hervor. Mein Fuß wippt im Takt, während ich dem Text lausche. Mir gefällt diese Mischung.
Ein Fischermann aus Killybegs, zeitlebens mürrisch wie verhext,
bis der Clown in ihm erwächst, nun lacht er Sorgen fort.
„Hast du schon gehört, Finn ist mit dem Traktor im Acker stecken geblieben. Dann dachte er sich, er zieht ihn mit dem Pick-up wieder raus und nun stecken beide im Dreck“, blökt Paddy lachend und hält sich die Hand an die Stirn.
Ich muss ebenfalls lachen und kann mir nicht verkneifen „Mensch Finn, du kommst aber auch immer auf Ideen. Warum hast du nicht die Winde benutzt?“
„Hat er doch, aber statt den Traktor raus hat sie den Wagen reingezogen“, prustet Paddy mit tränenden Augen und fällt beinahe vom Stuhl vor Lachen.
„Ich bin so schnell ich konnte zum Traktor geeilt und hab den Rückwärtsgang eingelegt, ich wollte den Pick-up unterstützen. Bis ich wieder zurück beim Wagen war, war es schon zu spät“, murrt Finn deutlich genervt, trinkt einen Schluck und dreht sich zur Band um.
Ein Anwalt aus der Westregion, als Gastgeber erntet er Hohn,
stoppt sein Prahlen ohne Ton, aus ihm wurde ein Mensch.
„O‘Donahue, wie findest du sie? Die Jungs haben was drauf, findest du nicht?“
Mein Fuß wippt fast wie von selbst zum schnellen Rhythmus des Schlagzeugs und ich kann ein Grinsen in Richtung Paddy nicht vermeiden. Wir drei sind fast jeden Abend hier in diesem kleinen, gemütlichen Pub, haben schon so manch stürmische Zeit durchschritten, so manches Abenteuer erlebt und so manche Band gesehen. Wir sind nun alle schon über 60, alle verwitwet, alle verrentet. Fast wie drei alte Brüder, gestrandet auf Lebenszeit auf dieser ganz besonderen Insel, die vom ersten Atemzug bis heute ihren Glanz, Charme und die Magie nie verloren hat. Irland, meine Heimat. Weites Land, schroffe Felsen, steile Küsten und flüssiger Sonnenschein zeichnen dich aus. So nennen wir scherzhaft den Regen. Aber heute, heute spüre ich sie ganz besonders, die Magie. Die Wärme der Menschen um mich, ihre lachenden Augen, hier und da eine Träne, furchtlos fortgewischt. Und unsere Musik, melodische Klänge, die vom Gefühl der melancholischen Freiheit selbst geschrieben zu sein scheinen.
Ein Bäckerjung‘ aus Donegal, dürrer Kerl und reichlich schmal,
isst Brot in Mengen, unnormal, und wächst zum Himmel hoch.
Mein Blick schweift kurz zu Finn, er scheint den Ärger zwischenzeitlich runtergeschluckt zu haben. Mit sanften Kopfbewegungen lauscht er der Musik und ich kann sehen, wie sich seine Knie bewegen. Er spürt sie auch, die Magie, die heute diesen Raum durchwebt. Die Bands, die in den letzten 40 Jahren hier in Dublin aufgetreten sind, waren oft gut, manchmal geht so, selten schlecht. Aber immer hatten wir es gemütlich und immer war es warm. Und manches Mal sind wir lachend um kurz nach elf auf die Straße getreten, nachdem wir unser letztes Stout heruntergespült hatten, und amüsierten uns über defekte Gitarren, gebrochene Stimmen und geplatzte Träume. Herrje, die Zeit vergeht wie im Flug und ich wünschte wirklich, Annie wäre heute hier, um mit mir zusammen diese Krauts zu begutachten. Oh, sie hätte mich geschimpft wegen des Wortes, aber mit einem liebevollen Lächeln im Gesicht, wenn ich hinterher etwas reumütig eingestand, dass sie recht hat. Meine Annie, meine Liebe. Nie hat sie erfahren, dass ich das Wort nur deshalb benutzte, weil ich dieses Lächeln sehen wollte. Weil ich wusste, sie würde es mir zeigen. Dieses bezaubernde Lächeln.
Ein Ingenieur aus Galway Town ist dick und steht wohl sehr auf Frauen,
in Kleidern läuft er, alle schauen, es kümmert ihn nen Dreck.
Er liebt sein Kleid, fühlt Heiterkeit, tanzt Rund‘ um Rund‘ und verliert acht Pfund!
Ich schmunzle über den Ingenieur und denke mir ‚Gott, wie recht er hat‘. Wer hierherkommt auf diese Insel, der will nie mehr fort. Endlose Weiten, Hügel und Täler, wilde Natur und so viel grün, wie es sonst nirgends auf der Welt gibt. Unsere Tradition sieht man in jeder Straße, an jedem Haus und in jedem Ding um uns herum weht der Geist Irlands. Die Menschen hier waren immer schon stark und hart im Nehmen, aber sie waren auch immer schon die gastfreundlichsten und warmherzigsten, die man sich nur vorstellen kann. Wer das nicht einmal erlebt hat, wer das nicht einmal gefühlt hat und wer nie ein Stout hier getrunken hat, der wird niemals erfahren, was es bedeutet, in Irland zu sein. Und: Wer niemals eine so talentierte Band wie Fiddler‘s Green hier hat spielen sehen, der hat von Tradition so viel Ahnung wie ich vom Decken häkeln. Dieses Gefühl, hier zu sitzen mit Paddy und Finn, in diesem Pub, an diesem Abend und mit diesen Menschen genau hier und jetzt, dieses Gefühl von Leben ist … grenzenlos!
In Irlands Luft riecht man die See, schmeckt Blüten, Gras wie lieblich Tee,
der Duft von Stout wird immer sein, ein Teil von Irlands Herz.
Denn hier im Grün, am Himmel rot die Wolken glühn‘,
und jederzeit ist dieser Ort bereit.
Von der Magie des Augenblicks. Der kursive Text ist eine von mir interpretierte und reimfähig gemachte Übersetzung von Irish Air, einem Stück der 1990 in Erlangen gegründeten Band Fiddler‘s Green. Sie feiern dieses Jahr 30-jähriges Jubiläum. Danke Jungs, für Kunst, die immer für uns da ist.