Nobodys wife – Juli 2023

  • Beitrags-Autor:
  • Beitrags-Kategorie:Blog
  • Beitrags-Kommentare:2 Kommentare

Eine Kurzgeschichte zum Thema „Ein Mensch schlägt zurück“. Wieder geht es um menschliche Abgründe, diesmal jedoch oberflächlicher als in „Zeit der Buße“. Auch die Stimmung ist positiver.

Nebraska, USA. 1967

Ein Schrei presst sich durch die Hand, die meinen Mund abzuriegeln versucht. Hitze flutet meinen Körper, alle Muskeln brennen auf der Suche nach Vergeltung. Wieder und wieder spüre ich die Pein, die nicht durch Schmerz allein verursacht wird. Demütigung zerfrisst mich. Wieder und wieder zerre ich, versuche mich loszureißen, doch die Griffe werden nur noch fester. Gelächter dringt in meine Ohren, wie 1000 Schlangenbisse töten sie mich Stück für Stück. Ich sehne mich nach dem Stöhnen und spüre gleich darauf Wut über diesen Gedanken. Wut, wie ich sie nie gekannt habe. Mein Gefühl will töten, morden, alle in Stücke reißen.

Endlich, ein Stöhnen durchschneidet den Wasserdampf, als würde eine kranke Kuh röhren. Dann ist es vorbei, mit zitternden Knien sacke ich zusammen, während heißes Wasser unaufhörlich auf mich herab plätschert. Reflexartig ziehe ich mich zusammen, rolle mich schützend ein wie ein getretenes Pangolin. Meine Arme brennen, blutig Spuren, wo gerade noch Nägel in Haut bissen. Jetzt nur keine Tränen, reiß dich zusammen. Langsam richte ich mich auf, drehe meinen Kopf, greife nach der Seife. Wie im Wahn schrubbe ich meinen ganzen Körper, versuche die Steinigung meiner Würde wegzuwaschen wie den Dreck einer Klärgrube. Immer wieder beiße ich auf meine Lippen, unterdrücke die Tränen. Ich muss durchhalten.

Zurück in meiner Doppelzelle sieht Gregory vom unteren Bett zu mir auf. Er ist das, was sie hier als walking barrel bezeichnen. Sein Bett ächzt und stöhnt bei jeder Bewegung. Mich dagegen nennen sie half a chicken. Wenig Fleisch, keine Flügel. Ein gutes Opfer.

»Haben die schon wieder …?«

Ich bin froh, dass er den Satz nicht zu Ende spricht. Langsam, ganz langsam lasse ich mich auf die harte Matratze sinken, doch ich spüre den Nachhall, als würde eine reißzahnbeplankte Eisenstange in meinen Därmen rühren.

»Diese dämlichen Hillbillys, warum wehrst du dich nicht? Wenigstens einen Schlag, damit sie wissen, du bist kein Cream Pie.« Seine Stimme klingt vorwurfsvoll. Er kann es sich leisten, ihn lassen sie in Ruhe. Körpermasse bedeutet Respekt.

»Wenn ich das mache, prügeln die mich blau wie Grannys Pflaumenkompott. Ich bin halt kein Muhammad Ali!« Laut stöhne ich auf, jeder Positionswechsel erinnert mich an den hohen Berg offener Rechnungen.

»John, du musst dich wehren, sonst begreifen die es nicht. Oder suche dir jemanden, der dich beschützt.«

»Wie lange bist du schon hier? Du weißt genau, ich müsste …, ich müsste denen ihre Dinger in den Mund nehmen, um Schutz zu bekommen. Ich bin nicht so kräftig wie du!«

Er winkt ab, schüttelt den Kopf. »So sind die Regeln, Dude. Entweder so oder so.« Er deutet auf meinen Unterleib, schaut auf die Uhr. »Komm, jetzt ist Abendessen.«

»Ja, geh, lass mich in Ruhe.« Mühsam rolle ich mich auf dem Bett zusammen, versuche eine Schonhaltung einzunehmen. Es gelingt mir nur zum Teil. Drei Monate bin ich schon in diesem Loch. Weil mein Steuerberater mich verarscht hat. Geld veruntreut, Rechnungen gefälscht. Am Ende hat er sich verpisst, auf die Bahamas oder was weiß ich. Vor mir liegen weitere sechs Monate. Langsam schließe ich meine Augen.

»Daddy, Daddy, schau mal.« Amy fährt lachend auf ihrem Fahrrad, das erste Mal ohne Stützräder. Wie stolz sie ist und wie stolz ich bin, dass die Kleine so schnell lernt. »Toll machst du das, weiter, immer weiter«, rufe ich und laufe neben ihr her. »Noch ein Stück, noch ein Stück, super machst du das.« Dann passiert es und sie kippt. Aber sie weint nicht, schaut mich kurz an mit diesem Blick, der mich offen fragt: Wie soll ich reagieren? Meine Reaktion kommt instinktiv, ich lächle so warm wie möglich und rufe: »Das war großartig, ich bin so stolz auf dich, Honey!« Behutsam helfe ich ihr hoch, sie lächelt und versucht es gleich nochmal. Ich bleibe stehen und sehe zu, wie sie einen Bogen fährt und auf mich zu kommt. Der Lenker wackelt gefährlich, doch sie schafft es bis zu mir. »Ja, das war super«, rufe ich, umarme sie, gebe ihr einen Kuss auf die Stirn. »Komm, das erzählen wir Mommy.«

»John!«

Die Stimme reißt mich jäh aus der Geborgenheit. Mason steht in der Tür. Ehemaliger Türsteher, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass seine Frau fremdgeht. Hat dem anderen Kerl ein Messer in die Brust gejagt. »Was is?«, nuschle ich.

»Gregory hat mir erzählt, was passiert ist.« Er sieht mich mit einem Blick an, der Mäuse verdampfen könnte.

»Ja, und was …?« Bin mir nicht sicher, wie ich seinen Blick deuten soll.

»Warum lässt du dich von den Hillbillys wie eine Slut benutzen?«

Ein verächtliches »Ts« entwischt meinem Mund, noch bevor ich es zurückhalten kann. Langsam richte ich mich auf und nehme allen Mut zusammen. »Ich habe mich nie gerauft, bin immer weggelaufen. Ich habe keine Chance gegen die. Ich habe einen kleinen Bücherladen in Hastings, das ist, was ich kann.«

»Hast du eine Faust?«, fragt er, während er eingängig die Nägel seiner rechten Hand begutachtet. Seine Stimmlage liegt irgendwo zwischen Ist der Himmel blau? und Geht morgen die Sonne auf? Es vergehen Sekunden der knirschenden Stille, in denen wir uns ansehen. Während ich versuche einzuordnen, ob er mir ebenfalls ans Hinterteil will, zieht er eine Augenbraue nach oben und setzt sich neben mich. Mir wird ganz kalt, ich spüre Angst, die seine warme, kräftige Hand auslöst, die er mir auf die Schulter legt.

»Hör zu, Buddy, ich mache dir einen Vorschlag.« Das folgende Gespräch dauerte etwa fünf Minuten. Danach war ich so ängstlich und verstört wie noch nie zuvor. Ich rollte mich auf der Platte ein, wie die Häftlinge die harte Matratze nennen, und weinte so leise ich konnte. Immer wieder flirrten Bilder von Amy durch meinen Kopf, dazwischen die Schmerzen und Wutgefühle der vergangenen Monate. Das Stöhnen, das Lachen, die Verzweiflung und diese Wut, die so übermächtig und gleichzeitig nutzlos wie ein umgestürzter Baum im Wohnzimmer auf mich eindrückt. Meine kleine Amy, wie kann ich dir in die Augen sehen? Wie kann ich dir Vorbild sein und Dinge von dir erwarten, wenn ich selbst nicht in den Spiegel sehen kann? Noch nie spürte ich so große Angst, nie war ich unsicherer, niemals zuvor verzweifelter. Es dauerte genau zwei Tage, dann fasste ich einen Entschluss.

Von da an traf ich mich regelmäßig mit Mason. Was keiner wusste: Er war Analphabet. Ich lehrte ihn das ABC. Die andere Hälfte der Zeit machte ich Liegestütze, Kniebeugen, Hanteltraining. Er zeigte mir einfache Abwehrgriffe, Würfe, wie man richtig schlägt. Eine neue Welt offenbarte sich. Ich hätte meinen Daumen schon beim ersten Schlag gebrochen. Er darf nicht in die Faust. Am Anfang fühlte ich mich, wie ein Girl sich fühlen muss, das niemals Sport gemacht hat. Drei Liegestütze mit Ach und Krach, zwölf Kniebeugen, vom Rest ganz zu schwiegen.

Wieder und wieder spürte ich, warum ich Sport immer gehasst habe. Sport ist Mord, ganz eindeutig. Im Laufe der Zeit veränderte sich mein Körpergefühl. Wo sich vorher Haut und Fleisch zweckdienlich um Knochen legte, entwickelte sich ein Bewusstsein für Gewicht und Bewegung. Ich nahm meinen Körper nicht mehr als eine in Stein gemeißelte Gottgegebenheit wahr, sondern erlernte seine Grenzen. Und wie ich sie verschiebe. Meine Körperhaltung änderte sich, mein Gang, meine Bewegungen. Alles wurde differenzierter und bewusster.

Nach drei Wochen hatte sich mein Körper optisch nicht groß verändert, doch ich spürte zunehmend Hochachtung vor Ali, Bruce Lee und all den anderen. Und während der ganzen Zeit verfolgte mich ein Gedanke. Amy. Wie kann ich dir nur gegenübertreten, wenn …? Scham und Wut kamen und gingen, mit Angst und Verzweiflung im verfluchten Quartett. Vor dem abendlichen Duschen konnte ich mich nicht drücken. Ich konnte nur hoffen, dass genug andere da waren und sich die Bande nicht trauen würden. Oft klappte es, doch nicht immer.

Drei Wochen waren scheinbar genug für das Schicksal.

»Hey Sweetheart«, säuselt es süßsauer hinter mir. Heißer Dampf wabert durch den Raum, reflexartig spannen sich alles Fasern meines Körpers. Diese Stimme, wie ein glühender Dolch schneidet sie in mein Ohr. Was dann passiert, liegt wie hinter dichtem Nebel in meiner Erinnerung. Eine Hand legt sich auf meine Schulter. Noch während sie das tut, drehe ich mich, packe sie mit beiden Händen und drehe so hart am Handgelenk, dass der Typ sich freiwillig zu Boden wirft. Im nächsten Moment kracht meine Ferse mit voller Wucht auf seine Nase. Aus den Augenwinkeln sehe ich eine Faust auf mich zukommen. Ohne nachzudenken, blocke ich sie mit der linken Hand und feuere meine Faust gegen den Kehlkopf des Angreifers. Der dritte bekommt einen Freistoß zwischen die Beine.

Es geht alles so schnell, ich bin pure Energie. Handlung statt Denken. Der Erzählung nach habe ich getreten und geboxt, bis sie davonrannten. Dabei soll ich geschrien haben: »I’m nobody’s wife, you sons of bitches!« Ich kann mich kaum erinnern. Nur eines weiß ich ganz genau: Nie wieder haben sich diese Dickheads in meine Nähe getraut. Mein Aufenthalt war weiter geprägt von Angst und Befürchtung, aber es wurde weniger. Ein neues Gefühl gesellte sich dazu.

Am Tag meiner Entlassung standen Linda und Amy vor der Tür und warteten auf mich.

»Daddy, Daddy!« Aufgeregt winkt sie und rennt auf mich zu. Ich umarme sie ganz feste und drücke sie, als wäre es das erste Mal. Als wir zum Wagen gehen, fragt sie mich: »Was hast du da drin gemacht?« Sie schaut so unschuldig dabei und gleichzeitig neugierig. Langsam beuge ich mich nach unten, sehe in ihre Augen und antworte: »Ich habe etwas gefunden.«

»Du hast aber lange gesucht.«

Seitdem mache ich mit Amy regelmäßig Sport, zeige ihr ein paar der Dinge, die ich gelernt habe. Sie liebt die gemeinsame Zeit und manchmal lasse ich sie absichtlich gewinnen. So bleibt sie motiviert und lernt spielerisch, sich selbst zu schützen. Denn Amy hatte recht. Ich hatte wirklich lange gesucht, ohne zu wissen, wonach ich eigentlich suche. Erst später in der Therapie lernte ich, das neue Gefühl zu benennen: Selbstwirksamkeit.

Zurück

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Marion Schreiner

    Eine starke Geschichte zum Thema Selbstwirksamkeit. Und wieder ziehst du den Leser mit einer Wucht von Worten und Gefühlen in eine Situation hinein, die zunächst unbegreiflich erscheint. Doch je weiter man liest, desto klarer werden die Abläufe. Du „entwickelst“ Geschichten, die einen am Ende sprachlos zurücklassen. Sie regen zum Nachdenken an. Als ich den Text ein zweites Mal las, was für mich nötig war, um den Anfang noch besser zu verstehen, erwischte mich die Wucht der Worte noch stärker. Klasse geschrieben!

    1. marco

      Vielen Dank, Marion.

Schreibe einen Kommentar